Ninjutsu Fakten und Fiktion - Interview mit Antony Cummins

Es ist eine grosse Ehre für uns, ein Interview mit dem Autor Antony Cummins zu präsentieren. Antony ist ein Autor und schreibt sehr interessante und gut recherchierte Bücher über die Geschichte der Samurai und Ninja.

Ninjutsu Fakten und Fiktion - Interview mit Antony Cummins
Antony Cummins und stock.adobe.com

Bushu.ch: Hallo Antony. Es ist mir ein Vergnügen endlich dieses Interview mit dir zu führen. Fangen wir mit deinem Hintergrund an. Ich weiss, dass du Bujinkan trainiert hast und dann angefangen hast Bücher zu schreiben und deinen Videokanal zu starten.

Antony Cummins: Ja, ich habe mich eigentlich immer für Ninjas interessiert, aber ich habe erst ca. im Jahr 1999 meine erste Bujinkan-Klasse besucht. Ich kannte Hatsumi seit meiner Kindheit und wir haben die Bücher und Magazine bekommen. Ich wusste wer Hatsumi ist und ich wusste wer Stephen K. Hayes ist und schliesslich fand ich ein Dojo, um in der Kunst der Ninja zu trainieren.

Dort begegnete ich Steven Powell, der mein Shidoshi geworden ist.

Bushu.ch: Es gab eine grosse Kontroverse als du festgestellt hast, dass es keinen historischen Beweis dafür gibt, dass die Ninja jemals ein Nahkampfsystem hatten und dass die Ninja Teil der Samurai-Klasse sind. Wenn die Ninja in den Kampfkünsten trainieren wollten, dann trainierten sie die gleichen Dinge wie die Samurai, weil es Samurai gibt. Aber beim Ninja-Training ging es nicht um den Kampf, sondern um die Kunst der Spionage. Dinge wie das Sammeln von Informationen über Burgen, Personen und auch Truppenbewegungen. Auf welcher Grundlage bist du zu dieser Schlussfolgerung gekommen?

Antony Cummins: Zunächst einmal musst du daran denken, dass es hier nicht darum geht, dass ich beweise, dass es keine Ninja-Kampfkunst gibt. Vergiss nicht, ich war ein begeistertes Mitglied des Bujinkan und ich würde mich freuen, wenn es eine Ninja-Kampfkunst gäbe, aber lasse uns mit dem Wort Kampfkunst beginnen. Wir meinen damit den Nahkampf, d.h. den physischen Kampf zwischen zwei Menschen und nicht die Kampfkunst im Sinne der Kriegsführung.

Als ich nach Japan ging, sah ich mir alle Bücher an, ging zu allen Antiquariaten und sammelte alle alten Bücher über die Ninja und besprach sie mit Yoshie Minami, meinem Übersetzer. Aber vergiss nicht, ich glaubte damals Ninjutsu sei eine Kampfkunst für den Nahkampf. Nach einigen Recherchen stellte sich aber heraus, dass viele dieser Bücher aus den 1950er und 1960er Jahren nur erfunden waren und es keine Grundlage für ihre Behauptungen gab.  

Die Menschen damals haben nur geraten, aber keiner von ihnen behauptete, dass es ein Nahkampfsystem gibt, das von den Ninja verwendet wird. Niemand ausser Takamatsu. Er war der einzige. Sogar Seiko Fujita hat gefragt, warum Kampftechniken verwendet werden. Das ist nicht Ninjutsu.

Ich beschloss dann alle Bücher aus dem 20. Jahrhundert loszuwerden. Es handelt sich nicht um Primärforschung, also habe ich beschlossen das alles wegzulassen. Ich musste also noch einmal ganz von vorne anfangen. Und von diesem Zeitpunkt an haben wir nur noch auf die Primärforschung konzentriert. Das bedeutet, dass wir nur Schriftrollen aus der Vergangenheit und nur historische Informationen verwenden. Es gibt keine einzige Erwähnung von Irgendeiner Form von spezifischem Nahkampfsystem, das nur von den Ninjas verwendet wird.

Aber es gibt so viele Informationen die sagen, dass sie ganz normale Leute sind, die sehr gut in der Spionage ausgebildet sind. In jeder einzelnen Ninja-Schriftrolle geht es um Spionage, Magie, Saboteure usw.

Bushu.ch: Ich würde gerne wissen, ob du neben deiner Tätigkeit als Autor und deinem grossen YouTube-Kanal auch einen normalen Job hast.

Antony Cummins: Nein, das wars. Ich verdiene gerade genug zum Leben und muss deshalb weiterhin die YouTube-Videos machen, um sicherzustellen, dass die Leute auf meine Bücher aufmerksam werden. Ich bin darauf angewiesen, dass sie ständig von Menschen gekauft werden, weil ich Geld brauche, um meine Projekte fortzusetzen. Ich brauche Geld, um nach Japan zu fliegen und ein paar weitere Schriftrollen zu besorgen und natürlich um mich mit den Meistern zu treffen und zu besprechen, warum manche Dinge nicht zusammenpassen. Aber das ist eine Menge Geld, weil man in Japan Getränke kaufen muss, Leute zum Essen einladen muss und die Geschenke sind auch ziemlich teuer.

Mein Übersetzerteam stellt zuerst ein grundlegendes, englisches Skript zusammen und davon ausgehend gehen wir hin und her. Wir überprüfen alle Quellen und schliesslich gibt es dann ein Buch, das interessant zu lesen ist. Ich schreibe auch meine eigenen Bücher. „The Ultimate Art of War" ist zum Beispiel gerade erschienen und ich habe es ganz alleine geschrieben.

Bushu.ch: Die Ninja gehören also zur Klasse der Samurai und sind ebenfalls so wie die Samurai im Nahkampf ausgebildet?

Antony Cummins: Die Frage ist, was die Samurai eigentlich gelernt haben. Wir wissen viel über die Edo-Periode. Was haben aber die Samurai in der Sengoku-Periode (ca. 1467 - ca. 1603) tatsächlich studiert? Menschen machen oft den Fehler und denken, dass alle Samurai in Städten mit Burgen gelebt haben. Das war in der Edo-Periode der Fall. Davor lebten sie auf Bauernhöfen und in Dörfern und sie leiteten das Dorf für ihren Fürsten.

Sie lebten in einer Art befestigter Mini-Villa, nicht in einer Burg, sondern in einem grossen Haus. Sie hatten ihre Familie bei sich und zwar ihre erweiterte Familie.

Der Fürst hatte natürlich seine eigenen Gefolgsleute um sich herum und es gab Zeiten, in denen viele Samurai zusammen waren. Aber die Samurai studierten im Grossen und Ganzen die Kunst ihrer Familie.

Bushu.ch: Hast du jemals einen Hinweis darauf gefunden, dass die Ninjas ein anderes Nahkampfsystem trainiert haben als die Samurai?

Antony Cummins: Nicht einen einzigen. Die Leute fragen dann: „Oh, wie kannst du beweisen, dass die Ninjas das nicht getan haben?“ und man fragt sich: „Woher kommt diese Idee eigentlich, dass sie es getan haben?“ Das ist nicht die Art und Weise, wie professionelle Historiker arbeiten. Man kann nicht einfach etwas erfinden und dann von anderen erwarten, dass sie es widerlegen. Ich kann nicht zum Beispiel behaupten, dass ich gestern Abend von Ausserirdischen besucht wurde und dann erwarten, dass das widerlegt wird. Das ist einfach nur lächerlich.

Das Nahkampfsystem der Ninja und die Behauptungen im Bujinkan machen einfach keinen Sinn. Es ist nicht mein Ziel schlecht über Bujinkan zu sprechen. Ich habe ja Bujinkan praktiziert und mein Ziel war es die Wahrheit zu finden. Leider passt das was im Bujinkan trainiert wird nicht zu den Fakten und zur Wahrheit über die Ninja.

Bushu.ch: Ja, das stimmt. Dein Ziel mit der Veröffentlichung ist also eigentlich nur das Wissen weiterzugeben, oder?

Antony Cummins: Mein eigentliches Ziel ist es, dass jeder die Geschichte der Samurai vollständig versteht. Ich habe so viele Bücher über die Ninja gesehen, die einfach völlig falsch sind.

Wenn man wirklich viel über die Samurai liest, dann weiss man, dass es eine Menge ausländischer Berichte über die Samurai und über Japan aus der Zeit um 1500 gibt, als die Jesuiten dort waren. Sie besagen, dass die Samurai bösartig und brutal sind und sich gegenseitig sofort verraten. Einige berichten sogar davon, dass zwei Rivalen friedlich etwas zusammen essen und innerhalb weniger Sekunden hackt einer von ihnen dem anderen den Kopf ab, nachdem er ihn in die Falle gelockt hat und betrunken gemacht hat.

Sie sind echt gute Kämpfer. Was viele Menschen nicht wissen, ist, dass Samurai als Söldner in Südostasien angeheuert wurden.

Bushu.ch: Echt? Das habe ich noch nie gehört.

Antony Cummins: Ja, Steven Turnbull hat einen akademischen Artikel darüber geschrieben. Früher kamen Menschen nach Japan und heuerten Samurai an und einige der Samurai waren früher Piraten und gingen nach Südostasien und waren in alle möglichen Kämpfe verwickelt. Aber das war bevor Japan sich vom Rest der Welt isoliert hat.

Versteh mich nicht falsch, für mich sind die Samurai und ihre Bräuche grossartig. Aber es gibt so viel mehr zu diesem Thema als das, was man heute in den Filmen sieht. Niemand weiss, was die Samurai wirklich gemacht haben. Also werde ich genau diese Frage beantworten.

Bushu.ch: Grossartig. Ich kann es nicht abwarten mehr darüber zu lesen.

Antony Cummins: Viele Leute verstehen nicht, warum ich die Natori-Ryu-Schriftrollen veröffentliche. Ich veröffentliche sie, um die Frage über die Ninja zu beantworten. Wir müssen die Samurai wirklich verstehen. Wenn wir die Samurai verstehen, dann können wir auch die Ninja verstehen.

Bushu.ch: Viele Kampfsportler sind interessiert an der Geschichte der Samurai.

Antony Cummins: Die meisten Menschen wollen sich nur mit dem Kämpfen und nicht mit der Strategie beschäftigen. Mein Leben ist für mich persönlich aber viel klarer, nachdem ich die Strategie studiert habe. Sie gibt meinem Leben eine Struktur. Ich schreibe sogar demnächst ein neues Buch mit dem Titel „How to be a modern Samurai’ das im Juli 2020 erscheinen wird. In diesem Buch werde ich darüber schreiben, wie man die Strategie für sich selbst nutzen kann. Ich hoffe ich kann einige Meinungen ändern und das Interesse für die strategische Seite der Samurai fördern.

Bushu.ch: Ja, das klingt grossartig. Vielen Dank für deine Zeit.

 

Hier geht zum ausführlichen Interview mit Antony Cummins

 

Seitens Bushu.ch führte Raoul Haldimann das Interview mit Antony Cummins am 7. Januar 2020 per Skype durch.


Mehr Informationen über Antony Cummins findet kann man hier finden:

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